Wenn man schon mal in Nepal ist, sollte man auch mal am Dach der Welt vorbeischauen. Wenn der höchste Berg der Welt schon mal ums Eck liegt, wäre es echt schade ihn sich nicht aus nächster Nähe angeschaut zu haben. Am Besten geht das, wenn man den Everest Base Camp Trek macht.
Da der Mount Everest aber tief im Himalaya liegt und der nächste Straßenanschluss weit weg ist hat man 2 Möglichkeiten um zum Startpunkt des Treks in Lukla zu kommen. Entweder man fliegt gemütlich von Kathmandu aus ein, oder man setzt sich erst 14 Stunden in einen Bus und marschiert dann noch eine knappe Woche die 80km nach Lukla. Wir wogen Zeitaufwand und Anstrengung gegen Kosten ab und entschieden uns letztendlich für die gemütlichere Flugvariante.
Wie sich herausstellte war der Flug ein Abenteuer für sich. In einer kleinen 18-Sitzer-Maschine starteten wir bei leichtem Nebel in Kathmandu und waren kurz darauf mitten drin in den Bergen...und mit mitten drin, meinen wir MITTEN drin! Die kleine Maschine flog so tief, dass wir zeitweise links und rechts vom Flieger nur Felswände sahen und wenn wir über einen Pass flogen, schüttelten uns die darüber ziehenden Winde kräftig durch. Die Landung in Lukla war dann auch nicht ohne. Das Flugfeld hat eine Neigung von 12 Grad, was nicht nach viel klingen mag, aber wenn man drauf zufliegt bzw. in der Schräge bergauf aufsetzt ist das nicht ohne. Da das kurze Flugfeld in den Hang gebaut ist endet es einfach in einer Wand, auf die du nach erfolgreicher Landung mit rasender Geschwindigkeit zusteuerst. Zum Glück funktionierten die Bremsen und wir kamen heil in Lukla an.
Da man beim Base Camp Trek relativ schnell auf große Höhe aufsteigt, muss man es langsam angehen. Das größte Problem auf diesem Trek ist die Gefahr der Höhenkrankheit. Auch wenn es bis zum Base Camp nur ca. 55km sind, sollte man dafür etwa 10 Tage einplanen. Höhenkrankheit entsteht, wenn man zu schnell auf zu große Höhe aufsteigt und der Körper mit dem geringen Sauerstoffgehalt und dem verminderten Luftdruck nicht mehr zurecht kommt. Dadurch kann sich Flüssigkeit in den Lungen (HAPE – High Altitude Pulmonary Oedema) oder im Hirn (HACE – High Altitude Celebral Oedema) ansammeln, was unerkannt und unbehandelt zum sicheren Tod führt. Jedes Jahr sterben einige Trekker und Bergsteiger im Himalaya an AMS (Acute Mountain Sickness) Um das ganze zu verhindern muss man dem Körper genügend Zeit zum Akklimatisieren geben und langsam aufsteigen. Die goldene Regel ist nicht mehr als 300m pro Tag aufzusteigen und bei dieser Geschwindigkeit alle 1000m einen Rasttag einzulegen.
Für den Base Camp Trek heißt das also meist kurze Tagesetappen zu gehen und viel Zeit in Lodges mit Warten zu verbringen – also nicht ganz so unser gewohnter Trekkingstil...
Aber nicht nur mit dem Tempo hatten wir so unsere Probleme. Da der Khumbu (die Everest Region) schon seit den 1950ern regelmäßig von Bergsteigern und in weiterer Folge von Trekkern heimgesucht wurde, hat sich natürlich ein riesiger Tourismuszweig entwickelt. Viele der Everest-Besteiger starteten Hilfsprojekte, bauten Schulen, Krankenhäuser und Kraftwerke und verwandelten so den Khumbu in eine der am meisten entwickelten abgelegene Regionen in Nepal. Dadurch wurden die Menschen natürlich aber auch abhängig von Tourismus und Hilfsprojekten und viel der ursprünglichen Kultur und Lebensart ist verloren gegangen. Da Touristen Jahr für Jahr abertausende Dollar in der Region ausgeben, liegen nicht nur viele der Felder brach (mit Touristen kann ich mehr Geld machen als mit Kartoffeln!), sondern es steigen auch ständig die Preise für Essen und Unterkunft (Klar: Wenn keine Kartoffeln mehr angebaut werden, muss sie jemand aus dem Tiefland rauf schleppen...)
Da mit März die Trekkingsaison beginnt war es auch mit den einsamen Pfaden, wie wir sie vom Annapurna Circuit gewohnt waren nichts mehr. Riesige geguidete Gruppen watscheln mit ihren Turnschuhen und Minirucksäckchen durch die Landschaft, während Scharen von Trägern ihre Ausrüstung den Berg hoch schleppen. Ein Guide von einer Campingtour erzählte uns, dass er für seine 9 Klienten 23! Träger angestellt hat. Die tragen dann vom Klozelt bis zum frischen Gemüse alles was der Luxustrekker so braucht.
So gefrustet wir von den Trekkermassen, den unpersönlichen Lodgesiedlungen, der fehlenden Kultur und den Preisen waren, so beeindruckt waren wir von der Landschaft um uns herum. Mit jedem Tag (wenn wir nicht gerade in irgendeiner Lodge warten mussten) wurde der Bewuchs karger und die Berge höher.
Am fünften Tag überquerten wir die Baumgrenze und kurz darauf waren wir im Land der Gletscher, Moränen und Berggiganten. Hier oben wächst praktisch nichts mehr und man sieht nur Fels und Eis, soweit das Auge reicht.
Da wir aus Gründen der Langeweile weiter unten einen Akklimatisierungstag ausgelassen hatten, bekam Marita weiter oben dann Probleme. Am Weg von Lobuche (4940m) nach Gorak Shep (5170m) blieb ihr (wahrscheinlich wegen einer Kombination aus dünner Luft, morgendlicher Eiseskälte und leerem Magen) plötzlich die Luft weg und ihr wurde schwarz vor Augen. Uns blieb nichts anderes übrig als wieder zurück nach Lobuche zu gehen und noch einen Pausetag einzulegen. Da die Anzeichen von Höhenkrankheit aber wieder komplett verschwanden, konnten wir am nächsten Tag ohne Probleme nach Gorak Shep aufsteigen. Wir gingen an diesem Tag sogar noch bis ins Everest Base Camp weiter.
Da Anfang April die Klettersaison für den Everest beginnt, herrschte hier Hochbetrieb. Es waren zwar noch keine Bergsteiger da, aber dafür umso mehr sherpa, die alles für die Ankunft der Expeditionen vorbereiteten. Überall wurde Equipment ausgepackt und Zelte aufgebaut. Da das Base Camp AUF den Khumbugletscher ist und sich die Gletscheroberfläche jedes Jahr verändert, müssen auch die Campplätze jedes Jahr neu angelegt werden. Die Plattformen für die Zelte werden aus dem Eis und Geröll herausgearbeitet und dann mit Steinen befestigt. Jeden Tag erreichen tonnenweise Equipment und Verpflegung das Base Camp – aus dem Tiefland hochgeschleppt von hunderten Trägern und unzähligen Yakkarawanen. Es ist lustig zu beobachten, wie hier auf dem Gletscher eine riesige kunterbunte, internationale temporäre Zeltstadt entsteht, die für hunderte Kletterer, Köche, Koordinatoren,... für die nächsten Wochen ihr zuhause ist.
Vom Base Camp aus kriegt man auch einen guten Eindruck von der Größe und Gefährlichkeit des Khumbu-Eisfalls, einer der größten Herausforderungen bei der Besteigung von Mount Everest. Jeden Tag schiebt sich dieser gigantische Gletscher bis zu einem Meter Richtung Tal. Er ist wie ein gefrorener Fluss, der über eine Felskante schießt. Durch den plötzlichen Abfall bilden sich riesige Gletscherspalten und Eissäulen, die regelmäßig weg brechen. Der gesamte Khumbu-Eisfall sieht aus wie ein gigantisches Labyrinth aus instabilen Eisscherben. Dass Menschen wirklich da rauf kommen ist echt irre!
Wir beließen es da bei einem Erkundungsspaziergang im unteren Bereich des Gletschers...
Nach ca. 2 Stunden im Base Camp machten wir uns auf den Weg zurück nach Gorak Shep. Am nächsten Morgen ging es auf den 5643m hohen Kala Patthar, sozusagen dem Hausberg von Gorak Shep. Von diesem „Schotterhügel“ hat man eines der besten Everest Panoramas. Da es in der Nacht geschneit hatte konnten wir mal wieder richtige Winterstimmung genießen. Im Neuschnee stapften und schnauften wir den Berg hinauf und als wir dann endlich völlig außer Atem oben ankamen mussten wir erkennen....Wir sind auf den falschen Berg geklettert! Es ist uns eh schon beim Aufstieg komisch vorgekommen, dass wir die einzigen sein sollen, die an diesem Tag auf den berühmtesten Everest-Aussichtspunkt klettern. Wir sahen weder Fußspuren am Weg rauf, noch trafen wir andere Leute am Gipfel. Oben angekommen sahen wir die Menschenmassen dann auf den benachbarten Hügel klettern. Kala Patthar hat nämlich 2 Gipfel (was man von Gorak Shep aus nicht sieht) – einer mit 5545m und einer ein bisschen höher mit 5643m. Nach einer ausgiebigen Everest-Fotosession machten wir uns auf den Weg zum höheren Gipfel, was Gott sei Dank nicht zu viel Abstieg beinhaltete.
Die Aussicht vom Kala Patthar (von beiden Gipfeln) ist wirklich atemberaubend – man ist wirklich mitten drin zwischen den Giganten...360º, so weit das Auge reicht nur schneebedeckte Berge und riesige Gletscher. WOW!!!!
Nach über 2 Stunden auf den Gipfeln stiegen wir wieder nach Gorak Shep ab, schulterten unsere Rucksäcke und machten uns auf den Weg zurück Richtung Lukla.
Eine halbe Stunde nach Gorak Shep fanden wir einen Sherpa neben dem Weg, der gar nicht gut aussah – apathisch, nicht ansprechbar und unfähig sich zu bewegen. Er sah aus, als hätte ihn die Höhenkrankheit schwer erwischt. Da sich sonst niemand um ihn zu kümmern schien, nahmen wir uns um den armen Kerl an. Wir versuchten von vorbeikommenden Trägern und Guides Hilfe zu bekommen, aber die meinten nur er wäre betrunken und könne sich selber helfen. Da dies offensichtlich nicht der Fall war und es schön langsam spät (und kalt) wurde, beschlossen wir ihn gemeinsam mit einem Deutschen, den wir kennen gelernt hatten nach Gorak Shep zu geleiten/tragen. Da hat er wenigstens ein Bett und einen Ofen, wo er sich auskurieren kann.
Während Marita auf die Rucksäcke aufpasste schleppten ihn die beiden Männer über die Moräne nach Gorak Shep. Auf dem Weg ins Dorf wurde der Sherpa wieder etwas munterer und konnte erzählen (mit Händen, Füßen, viel Nepali und ein bisschen Englisch), dass er Base Camp Sherpa war und zwar am Vortag etwas getrunken hatte, aber nur EIN Glas Raxsi (Schnaps). Da er auch nicht nach Alkohol roch und alle Anzeichen von Höhenkrankheit hatte (Schwindel, Kopfschmerzen, Probleme geradeaus zu gehen) wollten wir ihn anfangs eigentlich nach Lobuche runterbringen, aber er bestand darauf nach Gorak Shep aufzusteigen.
Im Dorf angekommen staunten die Leute dort nicht schlecht – sie waren es gewohnt, dass Sherpas höhenkranke Touristen angeschleppt bringen, aber nicht umgekehrt...
Nachdem wir ihn dort abgeliefert hatten, konnten wir weiter absteigen. Und wir genossen es so sehr wieder richtig trekken zu können (so lange und so weit wie wir wollten ohne von der Höhe gebremst zu werden). Die Strecke, für die wir bergauf 9 Tage gebraucht hatten (brauchen mussten) schafften wir bergab etwas schneller. Nur 3 Tage nachdem wir am Kala Patthar den höchsten Berg der Welt bestaunt hatten saßen wir schon wieder im Flieger Richtung Kathmandu.
Dort angekommen mussten wir uns auch schon an die Vorbereitungen für unser nächstes Reiseziel machen. Ein Indien-Visum zu kriegen stellte sich als langwieriger heraus als geplant und so verbrachten wir Ewigkeiten damit in Kathmandu zu warten und zu warten und noch mehr zu warten...