Um 7 in der Früh starteten wir mit Chelos kleinem Boot Richtung Wildnis. Erst ging es die Lagune hinauf und dann über einen kleinen Kanal in den Rio Ucayali. Dieser hier noch relativ schmale Fluss (in etwa so breit wie die Donau) bildet mit einigen anderen Flüssen später den Rio Amazonas.
Auf der Fahrt erzählte uns Chelo viel über den Fluss und das Leben an seinen Ufern. Da in dieser Gegend alles undurchdringbarer Dschungel ist spielt sich sämtliches Leben entlang und auf den Flüssen ab. Sie sind Transportweg, Nahrungslieferant und Zentrum des Lebens. Alles hängt vom Wasserstand des Flusses ab. Viele Häuser stehen auf Stelzen oder schwimmen entweder das ganze Jahr oder zumindest Teile davon. - Am Amazonas beträgt der durchschnittliche Wasserstandsunterschied zwischen Regen- und Trockenzeit ca. 10m!!!
Die Bewohner dieser Region leben hauptsächlich vom Fischfang und Obstanbau (meist Bananen, Melonen und Papayas) Der Überschuss der produzierten Waren wird dann mit dem Einbaum nach Yarinacocha oder Pucallpa gefahren um dort am Markt verkauft zu werden.
Chelo erzählte uns aber auch viel über das Leben unter der Wasseroberfläche, was einerseits sehr interessant, andererseits zum Fürchten ist (Fische von mehreren Metern Länge, Piranhaschwärme, 10cm-Fischlein, die in Riesenschwärmen über Delfine herfallen…) Ein tolles Gefühl, wenn man kurz darauf in einem seichten Seitenarm aussteigen muss, um das Boot anzuschieben. Aber es waren nur die ersten Schritte wirklich schlimm – man gewöhnt sich schnell daran und versucht nicht an die Stachelrochen zu denken, die sich im weichen Sand vergraben. Am Abend waren wir dann schon ganz normal baden.
Die erste Nacht schlugen wir unser Camp mitten im Dschungel unter einem faszinierenden Riesenbaum auf. Diese Bäume beanspruchen eine Bodenfläche von mehreren hundert Quadratmetern und vergrößern sich indem sie dünne Lianen zum Boden wachsen lassen. Wenn diese die Erde erreichen, fangen sie an zu wurzeln und einen neuen Stamm auszubilden. Dieser bildet dann wiederum Lianen, usw. Auch wenn es aussieht wie viele ineinander verwachsene Bäume, so ist es doch nur ein einziger…
Nach dem Dunkelwerden erkundeten wir die nähere Umgebung mit unseren Taschenlampen. Im Dschungel beginnt bei Nacht das große Krabbeln! Aus allen Ritzen und Löchern kommen die eigenartigsten Insekten: Riesengrillen, tarnfarbene Gottesanbeterinnen, handtellergroße Riesenschaben, Vogelspinnen, Skorpione und noch viele andere Flattermänner und Krabbeltiere…
Danach ging das Erkunden der eigenartigen Tierwelt am Fluss weiter – mit einer Handleine. In den Flüssen hier scheint es nachts so, als gäbe es mehr Fische als Wasser. Die Wasseroberfläche brodelt und lässt das Gemetzel, das darunter stattfindet erahnen. Einen kleinen Einblick bekamen wir dank eines großen Angelhakens und kleinen Fischstücken, welche von den bluthungrigen Monstern innerhalb kürzester Zeit verschlungen wurden.
Zum Schlafen ging es dann nur unter ein Moskitonetz, denn hell leuchtenden Sternenhimmel als Dach…
In den nächsten Tagen erkundeten wir den Dschungel dann auch bei Tag. Wir hörten viel über die Pflanzen, ihre Charakteristika, ihre Heilwirkungen und die Verarbeitungsformen der unterschiedlichen Hölzer – das meiste haben wir schon wieder vergessen (spanische Namen, von Bäumen, die wir sowieso nicht mehr wieder erkennen…) Aber auch einige Tiere bekamen wir zu Gesicht. Überall in den Bäumen sieht man Ameisen- und Termitennester hängen und auch am Boden wimmelt es nur so von diesen kleinen Krabblern. Es gibt hier viele hundert Ameisenarten – von Minitierchen, die das Auge gerade mal sieht bis hin zu mehreren Zentimeter großen Riesenkalibern. Viele sind harmlos, aber es gibt auch unzählige, die es in sich haben. Chelo zeigte uns eine mit Riesenbeißwerkzeugen, die sich in seinem Fingernagel festbiss und nicht mehr losließ. Es gibt auch welche, die mit einem bestimmten Baum eine Symbiose eingehen. Sie leben in seinem hohlen Stamm und ernähren sich von einem Sekret, das dieser absondert. Würden die Ameisen dieses nicht fressen würde sich der Baum selbst vergiften und daran sterben.
Der Wald hier ist zwar ein Naturparadies, aber kein Zoo in dem einem an jedem Baum ein Affe entgegenlacht. Man muss sich sehr vorsichtig und leise bewegen um die Tiere nicht zu verscheuchen. Wir taten unser Bestes, aber stecke Europäer in Gummistiefel und lass sie über Laub und Äste latschen…Wir waren die meiste Zeit so damit beschäftigt keinen Lärm zu machen, dass wir darauf vergaßen die Umgebung zu beobachten. Aber wenn Chelo wieder losfetzte und mit der Machete zu wacheln begann wussten wir, dass es da was Interessantes zusehen gibt. So auch bei einem Ameisenbär, der sich leider in der Krone eines kleinen Baumes versteckte. Chelo versuchte ihn herunterzuschütteln und als er damit keinen Erfolg hatte, war Kevin an der Reihe. Seine Taktik: Raus aus den Gummistiefeln und rauf auf den Baum! Die beißenden Ameisen und der Anblick der Ameisenbärenkrallen, die auf ihn zukamen zwangen ihn zwar schnell wieder zum Abstieg, aber er hatte sein Ziel erreicht – der Ameisenbär war nun in Reichweite unserer Kamera.
So ein Glück hatten wir aber nicht mit allen Tieren. Die Affen waren zu hoch in den Bäumen und einfach zu schnell. Bei unserer Verfolgungsjagd durch den Dschungel zogen wir eindeutig den Kürzeren.
Wenn man vom Affenhetzen müde und durstig ist muss man nicht verzweifeln. Es genügen zwei kräftige Machetenhiebe und schon strömt frisches, klares Wasser aus der Liane. Man muss nur aufpassen, dass man die richtige Sorte erwischt – sonst kann es passieren, dass man einen unbeabsichtigten halluzinogenen Ayahuasca-Trip abkriegt…
Da das Wetter nach Regen aussah verbrachten wir die nächsten Nächte in einem kleinen Dorf von Shipibo-Indianern. Hier borgten wir uns am Abend auch einen Einbaum aus um die umliegende Gegend bei Nacht nach Kaimanen abzusuchen. Es ist schon ein unheimliches Gefühl im Stockfinsteren lautlos durch das Wasser zu gleiten und nur das zu sehen, was die Taschenlampe ausleuchten kann. Es trennen dich nur wenige Zentimeter von der Wasseroberfläche und rundherum erwacht der Fluss zu seinem nächtlichen Leben. Überall jagen große Raubfische, das Wasser spritzt und immer wieder springen kleine Fische in Panik ins Boot. Schon nach kurzer Zeit sahen wir unseren ersten Kaiman, oder besser…nur seine Augen, die im Schein der Taschenlampe wie rote Glühbirnen leuchten. Da die Kaimane hier keine natürlichen Feinde haben, kommt man sehr nahe an sie heran, bevor sie abtauchen. Das machen sich leider auch die Fischer zu Nutze und jagen sie wegen ihres Fleisches. Deshalb gibt es hier kaum noch große Tiere, da sie ab einer Größe von 1,5 Metern auf dem Teller landen.
Auch wir machten Jagd auf sie, aber nur mit der Kamera. Wir kamen auch bis auf eineinhalb Meter an einen stattlichen Burschen von ca. 2 Metern heran. Und genau diesen Zeitpunkt musste sich unsere Kamera natürlich aussuchen um wieder mal, wie schon so oft in den letzten Tagen und Wochen, zu spinnen - Sie löste nicht aus. Und damit war die Entscheidung endgültig gefallen: Wir brauchen eine neue Kamera! Unsere hat in letzter Zeit immer mehr Macken und schießt teilweise selbständig unkontrolliert Fotos, stellt nicht scharf oder löst, wie in diesem Moment einfach nicht oder zu spät aus. Auch wenn es unserem Reisebudget stark zusetzt (ca. 2 Monatsbudgets) werden wir uns demnächst eine neue Kamera kaufen – das bedeutet: bessere Fotos für die Fans zuhause!
Zurück im Dorf verbrachten wir die Nacht in einem typischen mit Palmblättern gedeckten Haus. Es steht, so wie alles in diesem Dorf (Hühnerstall mit eingeschlossen) auf Stelzen. – In der Regenzeit kann man das 5 Meter entfernte Nachbarhaus nur schwimmend oder per Einbaum erreichen.
Wenn wir mal gerade nicht zu Fuß im Dschungel unterwegs waren, erkundeten wir per Boot die kleinen Flüsse und Kanäle in der Gegend. Diese Trips nutzten wir natürlich auch zum Fischen. Nicht nur zum Spaß, sondern auch um ein Mittagessen zu haben. So kam es vor, dass wir erst mal fröhlich baden gingen, dann an der gleichen Stelle ein paar Piranhas raus fingen und diese dann gemütlich verspeisten. Die Fischreste wurden dann wieder im Wasser entsorgt, wo sich gleich einige ihrer Artgenossen die Bäuche voll schlugen. Nach dem sich die Wellen geglättet hatten gingen wir wieder baden – man muss sich ja die fettigen Fischfinger waschen, oder?
Die Piranhas ließen uns auch in Ruhe - sie attackieren normalerweise keine (unverletzten) Menschen. Aber es gibt ja noch andere Fische in diesen Gewässern…und einer von ihnen hatte gerade Appetit auf Marita und – zack – fehlte ein Stück von einem Muttermahl. Diese kleinen Muttermahlfetischisten sind eigentlich harmlos, aber Marita ging dann doch aus dem Wasser, da das blutende Muttermal ja noch größere Kaliber anlocken kann…
Der vierte Tag unseres Trips bestand eigentlich nur aus der Rückfahrt nach Yarinacocha. Trotzdem hatten wir das Glück vom Boot aus noch einiges zu sehen. In einem Baum entdeckten wir 2 Faultiere und nur ein Stück weiter saß auf jedem dritten Baum ein riesiger grüner Leguan. Im Fluss sahen wir immer wieder die Flossen eines pinken oder blauen Flussdelfins und hunderte Vögel flatterten, wie schon die letzten Tage immer um uns herum.
Wie es sich für eine perfekte Dschungeltour gehört kriegten wir dann auch noch einen echten Tropenschütter ab. Also, wenn es hier mal regnet, dann richtig! Es schüttet wie irre, blitzt und donnert und man hat das Gefühl als würde die Welt gleich untergehen. Die Leute hier lassen sich aber von solchen Kleinigkeiten nicht aus der Ruhe bringen. Es wird trotzdem gefischt, am Fluss gepaddelt und die Wäsche gewaschen…
Nach diesem echt genialen Trip ging es für uns wieder zurück nach Pucallpa von wo aus es per Frachtschiff Richtung Iquitos weitergehen würde…
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